Rudi Conrad (Leipzig)
[Articles]
Postoje mluvčího u vět tázacích / Речевые установки вопросительных предложений / Les attitudes du locuteur dans les phrases interrogatives
Im vorliegenden Beitrag werden bestimmte Typen von Fragen behandelt, die neben der Fragebedeutung mit einer zusätzlichen nichtinterrogativischen Bedeutung belastet sind. Das Wesen dieser Erscheinung, das sich in traditionellen Darstellungen teilweise in den Termini Bestätigungsfrage und Vergewisserungsfrage niedergeschlagen hat und von mir an anderer Stelle[1] als Antworterwartung bezeichnet wurde, kann durch einen Vergleich der Fragen (1)—(3) mit den entsprechenden neutralen Entscheidungsfragen (1’)—(3’) illustriert werden:
(1) | Sie sind Herr Schmidt (, nicht wahr)? |
(2) | Darf man denn in diesem Raum nicht rauchen? |
(3) | Das ist wohl nicht richtig? |
(1′) | Sind Sie Herr Schmidt? |
(2′) | Darf man in diesem Raum rauchen? |
(3′) | Ist das richtig? |
Bei (1)—(3) liegt ausser der Fragebedeutung noch eine bestimmte Einstellung des Sprechers zu der im Fragesatz ausgedrückten Proposition vor, die als Vermutung oder Annahme über die Gültigkeit der Proposition charakterisiert werden kann, und durch die zusätzliche Bedingungen eingeführt werden, die für die Frage-Antwort-Relation relevant sind. Diese Annahme, mit der gleichzeitig eine Wahrscheinlichkeitsbewertung der beiden möglichen Antworten (affirmativ oder negativ) auf die Frage gegeben ist, soll mit der Antwort auf die Frage bestätigt oder verworfen werden.
Die Analyse solcher Sprechereinstellungen ist für die Beschreibung der Frage-Antwort-Beziehungen insofern wichtig, als sprachliche Mittel, die Träger dieser Sprecherposition sind, von demjenigen Teil des Fragesatzes zu trennen sind, der die Bedeutung der Frage selbst ausdrückt. Die Gründe für diese Trennung sind zum einen syntaktischer Art, zum anderen betreffen sie die Zusatzbedingungen, die mit der Sprechereinstellung für die Fortsetzung der Interaktion gegeben sind. So dürfen z. B. Partikeln wie denn, etwa, russisch razve, neuželi, die eine bestimmte Sprecherposition markieren, nicht mit in das syntaktische Antwortschema einbezogen werden, das mit dem Fragesatz für die möglichen Antworten vorgegeben ist, da sonst falsche Antwortformen akzeptiert werden müssten. Man kann z. B. auf die Frage (2) nicht antworten: „Nein, man darf in diesem Raum denn nicht rauchen.“ Zum anderen eröffnet eine mit der Frage verbundene zusätzliche Sprechereinstellung verschiedene Bezugsmöglichkeiten für den Antwortsatz: die in der Antwort ausgedrückte Affirmation oder Negation kann sich entweder auf die im Fragesatz formal-syntaktisch realisierte Proposition beziehen oder aber auf die mit der Frage verbundene Annahme des Sprechers. Daraus ergeben sich einzelsprachliche Unterschiede im Gebrauch von Ja und Nein bzw. deren Entsprechungen sowie Besonderheiten in der Verwendung einzelner Antwortäquivalente. So kann z. B. der Gebrauch von doch als Antwort auf positiv gestellte Fragen im Deutschen, wie
(4) | War das denn ein Fehler? — Doch. |
nur dadurch erklärt werden, dass mit „Doch“ die mit dem Fragesatz verbundene [125]Annahme „Das war kein Fehler“ negiert wird, da „Doch“ als Antwortäquivalent immer die Negation eines negierten Satzes ausdrückt.
Wir wollen uns in diesem Beitrag kurz mit zwei noch weiter zu erforschenden Problemkreisen beschäftigen, die die Sprechereinstellung bei Fragesätzen betreffen. Es ist dies zum einen die Frage, welche Arten von Sprechereinstellungen es überhaupt bei Fragesätzen gibt, und wie man diese in der semantischen Beschreibung der entsprechenden Fragesätze darstellen kann. Zum anderen wollen wir uns mit dem Problem befassen, welche sprachlichen Mittel des Ausdrucks solcher Sprechereinstellungen es vor allem im Deutschen gibt und welche Restriktionen möglicherweise für deren Gebrauch anzugeben sind.
Zunächst ist festzustellen, dass sich der Ausdruck solcher zusätzlicher Sprecherpositionen vorwiegend auf Entscheidungsfragen beschränkt; Ergänzungsfragen kommen dabei nur insoweit in Betracht, wie es sich um rhetorische Fragen handelt. Als sprachliche Mittel des Ausdrucks der Sprecherposition kommen ganz allgemein in Frage: verschiedene Partikeln bzw. „Modalwörter“ einschliesslich bestimmter Nachsätze, wie ja?, nicht wahr?, nicht?, was?, wie? usw.; die Wortstellung, die negative Frageform, die Intonation und — gewissermassen als Randerscheinung zwischen Frage und Feststellung — die explizite Formulierung der Annahme in Gestalt eines Verbvorsatzes, wie z. B.
(5) | Ich nehme an, Sie sind Herr Schmidt? |
In sehr vielen Fällen wird allerdings die Sprecherposition im Fragesatz überhaupt nicht sprachlich ausgedrückt, sondern sie ergibt sich als eine zusätzliche Interpretation des Fragesatzes im gegebenen situativen Kontext, und oft ist nicht klar entscheidbar, ob ein bestimmtes sprachliches Mittel als Indikator der Sprecherposition angesehen werden kann, oder ob sich diese als situativ-kontextuelle Zusatzinterpretation erschliessen lässt.
Eindeutig auf die präsumptive Funktion im Sinne Restans[2] festgelegt sind im Deutschen die normale Wortstellung (d. h., ohne die für den Fragesatz sonst typische Inversion der Satzglieder) und Nachsätze des Typs ja?, nicht?, nicht wahr?, die auch nicht mit Sätzen kombiniert werden können, die die Fragesatzwortfolge aufweisen (z. B. ist „Sind Sie Herr Schmidt, nicht wahr?“ unakzeptabel). Ihnen entsprechen im Russischen Partikeln wie da?, pravda?, ne pravda li? u. a.
In Sätzen mit dieser Oberflächenstruktur wird zusätzlich zur Frage eine Annahme oder Vermutung des Sprechers ausgedrückt, die sich auf diejenige Proposition bezieht, die syntaktisch in der Oberflächenform des Fragesatzes ausgedrückt ist:
(6) | Sie sind Herr Schmidt, nicht wahr? |
(6′) | Sie sind nicht Herr Schmidt, nicht wahr? |
Symbolisiert man die Oberflächenform der Frage mit ?(S), so kann gesagt werden, dass mit den oben genannten sprachlichen Mitteln ausgedrückt wird, dass der Sprecher ‚S‘ vermutet, wenn eine positive Fragesatzform ?(S) vorliegt, und er vermutet ‚~S‘, wenn eine negative Fragesatzform ?(~S) vorliegt. In Übereinstimmung mit früheren Darstellungen[3] wollen wir diese mit dem Fragesatz verbundene Sprecherposition in der semantischen Beschreibung mit Hilfe des Funktors „SUGG“ darstellen, so dass SUGG(A, S) zu interpretieren ist als „Der Sprecher A nimmt an (vermutet), dass S“. Dann kann in der Gesamtbeschreibung solcher Fragesätze, deren semantisch hybrider Charakter dadurch zum Ausdruck gebracht werden, dass die Gesamtbedeutung des Satzes als eine logische Konjunktion eines Vermutungssatzes [126]mit einem Fragesatz dargestellt wird. Demnach entspräche (6) die Struktur SUGG(A,S) & ?(S) und dem Beispielsatz (6’) die Struktur SUGG(A, ~S) & ?(~S). Die oben erwähnten sprachlichen Mittel (normale Wortstellung und bestimmte Nachsätze) mit präsumptiver Funktion sind also ihrem Wesen nach „Übereinstimmungsfunktoren“, d. h., Mittel, die eine Sprechereinstellung indizieren, deren Proposition hinsichtlich Affirmation/Negation mit der Oberflächenform der Frage übereinstimmt. Man könnte daher auch die beiden Formen SUGG(A, S) und SUGG(A, ~S) in der Schreibweise SUGG(A, +S) zusammenfassen, wobei mit „+“ die Übereinstimmung mit der Oberflächenform des Fragesatzes als Bedingung angezeigt sein soll, unabhängig davon, ob es sich um ?(S) oder um ?(~S) handelt.
Den sprachlichen Mitteln, die eine präsumptive Sprecherposition ausdrücken, entgegengesetzt sind solche mit dubitativer Funktion im Sinne Restans. Für sie gilt, dass das Gegenteil von dem angenommen wird, was im Fragesatz ausgedrückt ist, d. h. die Proposition der Sprecherposition stimmt mit der in der Oberflächenform der Frage ausgedrückten Proposition hinsichtlich Affirmation/Negation nicht überein, so dass man in diesem Falle von einem Diskrepanzoperator SUGG(A, —S) sprechen kann, wobei mit „—“ diese Nicht-Übereinstimmung bezeichnet sein soll. Als sprachliches Ausdrucksmittel solcher Sprechereinstellungen gilt im allgemeinen die negierte Frageform, z. B.:
(7) | Sind Sie nicht Herr Schmidt? |
| SUGG(A,S) & ?(~S) |
Die absolute Festlegung der negativen Frageform auf diese Funktion erscheint jedoch problematisch angesichts verschiedener Beispiele (vgl. russ. U vas jest’ nož? — U vas net noža?), in denen eine Interpretation als neutrale Entscheidungsfrage nicht auszuschliessen ist. Andererseits ist es auch ziemlich schwer, Beispiele für den (7) entgegengesetzten Fall, d. h., positiv gestellte Fragen mit entsprechender negativer Sprechereinstellung zu finden, in denen bestimmte sprachliche Mittel eindeutig als Träger der Sprechereinstellung benannt werden können, vgl.:
(8) | Konnte er (denn) wissen, dass man hier rauchen darf? |
| SUGG(A, ~S) & ?(S) |
Zur Aufklärung der Verhältnisse sind hier ausführlichere Untersuchungen nötig, die vor allem auch die Rolle der Intonation mit einbeziehen.
Kompliziertere Strukturen der Sprecherposition, für deren Beschreibung sowohl eine Unterscheidung unterschiedlicher Erwartungsebenen als auch die Einbeziehung weiterer grundsätzlicher Arten von Sprechereinstellungen erforderlich sind, werden durch einige andere Partikeln ausgedrückt, die mitunter aber auch einfache Sprecherpositionen im oben beschriebenen Sinne wiedergeben. Dazu gehören denn, etwa, wohl, russ. razve, neuželi, für die der Ausdruck einer Diskrepanz zwischen Vorerwartung und offensichtlich gewordenem Sachverhalt charakteristisch ist, z. B.:
(9) | Kennen Sie ihn denn nicht? |
(10) | Kennen Sie ihn etwa nicht? |
(11) | Sie kennen ihn wohl nicht? |
Für alle drei Beispiele sind mindestens zwei unterschiedliche Sprecherpositionen anzunehmen, die an unterschiedliche Zeitpunkte gebunden sind, und aus deren Unvereinbarkeit miteinander die Frage resultiert. Sei to der Zeitpunkt der Sprechhandlung, so ist für einen Zeitpunkt ti, der zeitlich vor to liegen muss, eine Annahme des Spechers SUGG(A, S) gültig (= „Ich nehme an, Sie kennen ihn“), während zum Zeitpunkt to offensichtlich geworden ist, dass ~S (= „Sie kennen ihn nicht“). Drücken wir die für to gültige Situation mit Hilfe des Operators EV(A, S) aus, der als „Es ist [127]offensichtlich für A, dass S“ zu interpretieren ist, so wäre zunächst für die Beispiele (9)—(11) eine einheitliche Grundstruktur der Form SUGG(A, S)ti & EV(A, ~S)to & ?(~S) anzunehmen.[4]
Auf die sich aus dieser Einheitlichkeit ergebende Frage nach den Unterschieden zwischen denn, etwa, und wohl kann hier nicht weiter eingegangen werden. Sicher spielen dabei emotionale Einstellungen, wie „Erstaunen“ und „Ungeduld“ eine Rolle. Es ist aber auch nicht auszuschliessen, dass dazu noch andere Typen von Sprecherpositionen herangezogen werden müssen.
Zum Schluss sei noch kurz darauf eingegangen, dass Fragen auch mit einer konstativen Sprecherposition verbunden sein können. Dies betrifft zunächst die sogenannten emotional-konstatierenden Fragen, mit denen ein bereits gegebener, unumstösslicher Sachverhalt konstatiert wird, was gewöhnlich ebenfalls mit einer gegenteiligen Vorerwartung verbunden ist, z. B.:
(12) | Du bist schon hier? |
Für die Beschreibung solcher Fragen kann ein konstativer Operator CONST(A, S) „A konstatiert, dass S“ an Stelle des oben verwendeten EV(A, S) angenommen werden, wobei CONST ebenso wie EV Übereinstimmungsfunktoren analog SUUG (+ S) sind.
Geht man davon aus, dass die allgemeine Auffassung stimmt, rhetorische Fragen seien eine emotionale Konstatierung des Gegenteils dessen, was gefragt wird, z. B.
(13) | Ist das nicht herrlich? (= Das ist doch herrlich!) |
so könnte man annehmen, dass der Sinn einer rhetorischen Frage durch den gleichen Positionsoperator CONST(A, S), jedoch interpretiert als Diskrepanzoperator CONST (— S), beschrieben werden kann. In diesem Falle würde sich die Annahme eines gesonderten Funktors RH, der rhetorische Bedeutung einer Frage indiziert,[5] erübrigen. Dies kann jedoch nicht als sicher gelten. Vielmehr legen Paraphrasen einer rhetorischen Frage, die eine Zustimmung erheischen, wie
(14) | Das ist doch herrlich, nicht wahr? |
für (13) die Auffassung nahe, dass es sich bei der „Rhetorizität“ einer Frage nicht um die Konstatierung eines Faktums handelt, sondern eher um eine subjektive Annahme des Sprechers, für die ein sehr hoher Gewissheitsgrad angesetzt wird. Dies spricht für die Annahme einer gesonderten Sprecherposition RH(A, S) mit der Interpretation „A nimmt als sicher (mit Gewissheit) an, dass S“.
Für rhetorische wie auch für emotional-konstatierende Fragen sind sowohl zu dieser Problematik als auch zu der Frage, welche konstanten sprachlichen Mittel als Indikatoren dieser Sprecherposition in der syntaktischen Oberflächenstruktur des Fragesatzes genannt werden können, weitere Untersuchungen notwendig.
[128]R É S U M É
Referát se zabývá různými druhy postojů mluvčího, které se u vět tázacích vyjadřují pomocí partikulí, slovosledu, intonace nebo negativní formou otázky nebo se vyrozumívají jakožto přídatná interpretace ze situačního kontextu. V referátu jsou rozpracovány návrhy pro adekvátní sémantický popis presumptivních, dubitativních, emocionálně konstatačních, řečnických a jiných otázek, které jsou charakterizovány tím, že v tázací větě je kromě tázacího významu obsažen přídatný význam předpokladu, domněnky, zjištění apod.
[1] Vgl. R. Conrad, Studien zur Syntax und Semantik von Frage und Antwort (weiter Studien …), Studia grammatica XIX, Berlin 1978, S. 42—50, 128—134.
[2] Vgl. P. Restan, Sintaksis voprositel’nogo predloženia, Oslo/ Bergen/Tromsö 1972.
[3] Vgl. Studien …, S. 128ff.
[4] Der früher von mir dafür verwendete Operator CONST(S) „Es wird konstatiert, dass S‘ (vgl. Studien …, S. 130) entspricht offensichtlich nicht dem, was in diesen Fragen vorliegt; denn es wird darin nichts konstatiert — im Gegensatz zu emotional-konstatierenden Fragen (s. weiter unten).
[5] So z. B. in R. Conrad, Ein Problem der Frage-Antwort-Beziehungen: strukturelle Antwortdetermination und Antworterwartung, LAB (Linguistische Arbeitsberichte) 13, 1976, S. 90—91, sowie Studien …, S. 131—132.
Slovo a slovesnost, volume 40 (1979), number 2, pp. 124-128
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