Časopis Slovo a slovesnost
en cz

Sind die Abtönungspartikeln dialogisch?

Marek Nekula

[Články]

(pdf)

Jsou modifikační partikule dialogické?

1. Die Opposition „Writing vs. Speaking”, die für die Prager Konferenz als Thema ausgewählt wurde, durchzieht bekanntlich das abendländische Denken: sei es die Philosophie mit der Präferenz des Lautes, wie die Derridianer zu zeigen suchen, die Essays über den Ursprung der Sprache, die mal die initiative und aktive Rolle in der Kommunikation sowie das Optische in den Vordergrund stellen (Rousseau), mal das passive Verstehen und den Laut betonen (Herder), oder die durch die Orthographie und den geschriebenen Text dominierte (Gottsched, Junggrammatiker) und die durch das Phonem, den Dialog und Sprechakt dominierte Sprachwissenschaft (de Saussure). Eine außerordentlich wichtige Rolle bekam die Opposition „geschrieben” vs. „gesprochen” auch in der Partikelforschung. Insbesondere die Abtönungspartikeln (AP) werden einstimmig mit der gesprochenen Kommunikation und mit den gesprochenen Texten verbunden (Weydt, 1969, u. a. m.).

 

1.1. Hentschel (1986) hat in ihrem Schlüsselwerk zu den Partikeln versucht, die Gesamtbedeutung einiger Partikeln zu rekonstruieren. Sie zeigt, daß die Partikeln in verschiedenen Verwendungsweisen als Adverbien, Konjunktionen, Konjunktionaladverbien, Satzäquivalente oder APn übergreifende funktionale Bedeutungen haben. Z. B. für doch wird ein These–Antithese–Schema angenommen (ebd. S. 149), „doch drückt einen Widerspruch zwischen zwei Beziehungspunkten aus. Zumindest einer von beiden wird dabei als dem Hörer bekannt vorausgesetzt” (ebd. S. 148). Nach Helbig (1988, S. 119) „liegt Gesamtbedeutung in der adversativen Komponente”, „mit doch bestätigt der Sprecher eine Einstellung zum Gesagten oder das Bestehen/Nicht–Bestehen eines Sachverhaltes (im Gegensatz zum Vorausgehenden oder zur Einstellung eines anderen)”; vgl. auch Weydt (1969, S. 39); Hentschel (1986, S. 144). Sowohl in dem Schema von Hentschel als auch in der Charakteristik von Helbig wird also eine dialogische und endotextuelle Struktur vorausgesetzt. Die Äußerung mit doch synthetisiert sozusagen die These und Antithese, die im Diskurs gegeben sind. So nimmt man Bezug darauf, was im vorangehenden Gesprächszug oder auch im geschriebenen Text, d. h. in der gesprochenen oder geschriebenen Kommunikation zwischen einem Sprecher und seinem Rezipienten schon ausgedrückt wurde und was durch doch eingeschränkt oder widerlegt wird. So wird die dialektische Struktur und „die Alltagssprache des Dialogs” (Helbig – Buscha, 1991, S. 476) als Existenzmodus der APn angesehen.

 

1. 2. Das kann wohl für die meisten Texte stimmen, es gibt aber eine ganze Reihe von Beispielen, wo eine solche Interpretation eine sehr wichtige und interessante Funktion der APn bzw. von doch, ja, immerhin u. a. verdeckt; so z. B. bei Wittgenstein oder in deutschen Übersetzungen von Searle und anderen common–sense–Philosophen, wo die Partikeln wie ja oder doch relativ oft vorkommen:[1]

(1) Was macht den Regen oder sein Ausbleiben für meine Überzeugung, daß es regnet, überhaupt nur erheblich, wo eine Überzeugung doch schließlich bloß ein Geisteszustand ist? (Searle, 1991, S. 62).

[203]Z. B. doch funktioniert hier offensichtlich nicht nur als Relator zwischen zwei Gesprächszügen (vgl. z. B. Helbig, 1988) oder als textueller Kontextualisator (so Daneš, 1987), sondern auch als Verweis auf Evidenzen, sozusagen als Brücke zwischen dem, was explizit ausgedrückt wird, und dem, was mitschwingt (vgl. Hentschel, 1986). Die APn funktionieren hier als Brücke zwischen dem expliziten (geschriebenen oder gesprochenen) und mentalen Text (s. auch Daneš, 1989), und nicht nur hier. Denn auch in anderen Beispielen geht der Sprecher von seinem Wissen aus und setzt es auch bei dem Adressaten voraus. Dieser Glaube ist aber nicht nur verschwiegene Voraussetzung der Kommunikation; durch die APn wird er mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck gebracht. So wird die Verwendung von APn zum Signal, daß sich der Sprecher auf das Wissen beruft, das auch von dem Adressaten geteilt werden sollte, also auf die Evidenzen, die dem Produzenten und Adressaten gemeinsam sind bzw. sein sollen.[2] Sie werden sozusagen exotextuell verwendet; vgl. Komárek (1979).

 

1.3. Das Zusammenspiel gesprochener/geschriebener (expliziter) und mentaler Texte ist in der Kommunikation sicherlich üblich, wie z. B. bei der Eingliederung der Präsuppositionen in den semantischen Gehalt einer Äußerung, bei Anhören bloß eines der Gesprächspartner eines Telefonats, bei Simulation des Dialogs durch Gesprächszüge bloß eines Sprechers, indem die Repliken seines Partners ausgelassen werden, wie es in der Prosa üblich ist (z. B. in Kafkas Der Bau), bei Interpretation der ungleichen, einseitigen Kommunikation wie in Loyolas Exertitien (s. Barthes, 1979) oder Handkes Publikumsbeschimpfung oder bei intertextueller Verwendung berühmter Eigennamen und Kulturwörter wie Jahrhundertwende oder auch bei Verwendung brisanter Wörter, die den gesamten zeitgenössischen Diskurs repräsentieren, auf ihn Bezug nehmen.

Dasselbe gilt auch dann, wenn ein Vater seinem Kind sagt: Weine doch nicht immer so! Die AP doch ist hier als Brücke zum mentalen Text zu verstehen; es ist in erster Linie ein Verweis darauf, was in der Situation bloß mental bearbeitet und rationalisiert, nicht aber explizit ausgedrückt wird.[3]

Nur aus diesem Zusammenspiel der gesprochenen/geschriebenen und mentalen Texte sind dann verschiedene Strategien der Verwendung der APn erklärbar. Durch die APn ja, doch, wohl, immerhin u. a. wird die Berufung auf Evidenzen, implizite und schwer faßbare mentale Texte, zum Ausdruck gebracht. Der Sprecher will durch deren Verwendung „absolute”, „allgemeine Gültigkeit”, „Synthese gegenseitiger Thesen” beanspruchen. Diese durch doch oder ja signalisierten, geglaubten oder persuasiv behaupteten Evidenzen, geglaubten Synthesen und vermeintlich absoluten Wertsysteme, die dahinter stehen, entpuppen sich aber nicht selten als bloß gruppenspezifisch, dem zeitbedingten Wissen unterlegen. So z. B. die häufige Verwendung von doch oder ja bei Schulkindern, die die Partikeln doch oder ja auch da verwenden, wo es ihren Partnern entweder nicht einleuchten kann, worauf sie dadurch hinaus wollen, oder wo sie ganz belanglos sind:

(2) Jenny, 4: „Schau mal her, Mama, da krabbelt ein Marienkäfer, aber ein schwarzer. Das muß ein Marienkäfer sein, auch wenn er keine Punkte hat. Denn ein Elefant kann es nicht sein, Elefanten sind ja grau” (Eltern 1992/4, S. 32).

[204]Jedenfalls zeigt es aber, wenn auch nicht absichtlich, die Begrenztheit ihrer Welt und ihres Weltwissens, auf das sie durch die APn verweisen.

 

2. Nicht so amüsant ist die Verwendung von tschechischen Partikeln wie přece/přeci (’doch’), vždyť (’ja’), ovšem (’wohl’), Satzadverbien wie samozřejmě (’natürlich’), pochopitelně (’selbstverständlich’) oder Konstruktionen wie jak jinak u. a. in den tschechischen links– und rechtsradikalen oder Boulevardzeitungen wie Špígl, Expres, Republika, Rudé krávo u. a., in denen die beschränktesten Ansichten, Lösungen und politischen Programme dadurch als „allgemein verbindlich”, „repräsentativ”, „absolut gültig” und „synthetisch” verkauft werden. Es wird hier sozusagen eine höhere Instanz, ein näher nicht spezifizierbares Wertsystem konstruiert, das allen – mentalpräsent und für alle verbindlich sein soll. Die APn fungieren hier als Brücken zu nicht faßbaren mentalen (Kon–)Texten bzw. zu den (aus den konkreten Texten abstrahierten) Werten, die sich zwar hier in Texten offenbaren, deren konkreter textueller Ursprung sonst jedoch nicht mehr nachzuvollziehen ist. So ist diese exotextuelle Verwendung der APn seitens der Politiker vielleicht nicht fair, für persuasive Zwecke aber besonders geeignet.

 

3. Das Evidenzpathos der politischen Gruppierungen, die die oben erwähnte exotextuelle Strategie in der Verwendung von APn anwenden, um den Wählern ihre Ansichten und Programme einzureden, wird in den deutschen liberalen Massenmedien durch eine spezifische Strategie bloßgestellt:

(3) In einem Kommentar im Tagesspiegel wird eindeutige Distanz zu Schäubles Verhalten gegenüber Schalck–Golodkowski zum Ausdruck gebracht. Schäuble hatte ein Schreiben, von Schalck–Golodkowski an ihn adressiert, als Privatbrief dargestellt und ihn deswegen – so Schäuble – nicht weitergegeben. Nach den Informationen des Spiegels sollen dadurch der BRD Verluste in zweibis dreistelliger Millionenhöhe entstanden sein: „Rüttgers (d. h. Fraktionsgeschäftsführer der CDU, M. N.) nannte die Vorwürfe „unberechtigt”, da der BND damit (d. i. mit dem Eingang einer handschriftlichen Kopie des Briefes, die Schalck selbst drei Tage später dem Bundesnachrichtendienst übergeben hat) ja drei Tage nach dem angeblichen Eingang des Briefes bei Schäuble informiert gewesen sei. Deswegen könne gar kein Schaden entstanden sein (Tagesspiegel 1992/2, S. 3).

Die Zitate oder Paraphrasen von Äußerungen der Politiker, in denen doch, ja, immerhin und andere Ausdrücke verwendet bzw. vom Kommentator hinzugefügt werden, werden mit dem Konjunktiv der indirekten Rede kombiniert. So entsteht eine relativ starke Spannung zwischen der Evidenz bzw. allgemein anerkannten Gültigkeit, die durch diese Ausdrücke von den Politikern angestrebt wird, und der Distanz des Kommentators zur zitierten Äußerung, die durch den Konjunktiv der indirekten Rede zum Ausdruck gebracht wird.

Diese Strategie ist im Unterschied zur exotextuellen Strategie der Politiker endotextuell; ihre Spannung entsteht in erster Linie durch die widersprüchliche Verwendung der sprachlichen Mittel (mit ihren bestimmten Konnotationen) innerhalb des Textes oder sogar eines Satzes. Sie kann dann durch Übertreibung der bloß gespielten Rolle oder durch die Persönlichkeit des Spielers, des Kommentators, noch bekräftigt werden.

 

4. In der beschriebenen Strategie zeigt sich der Sinn des Deutschen für das eindeutige Ausdrücken des Kontrastes, der Adversativität bzw. der Nicht–Widersprüchlichkeit gegenüber dem Französischen (Malblanc, 1961) und anderen Sprachen. Sie zeigt aber auch, daß die APn keinesfalls auf den gesprochenen Text reduziert werden können, obwohl ihre hohe Frequenz in den gesprochenen Texten dazu führte, daß sie in der germanistischen Linguistik als dialektische Mittel interpretiert werden, also als [205]Ausdrücke, die (u. a. auch antithetische) Teile eines Gesprächs oder Textes verbinden (s. oben 1. 1.); und nicht etwa als Brücken zwischen dem gesprochenen/geschriebenen und mentalen Text. Der (endotextuelle) Kontrast zwischen dem Konjunktiv der indirekten Rede und der exotextuellen Funktion der APn in der zitierten Äußerung bekräftigt jedoch die These über die exotextuelle Verwendung der APn. Nur aus der exotextuellen Funktion mit all ihren Konnotationen ist die bissige Ironie einer solchen Konstruktion zu verstehen; der Kontrast mit dem Konjunktiv der indirekten Rede verrät, daß diese Funktion vom Sprecher reflektiert und von ihm in einer verfremdenden Strategie bewußt ausgenutzt werden kann.

 

LITERATUR

 

Barthes, R.: Sade, Fourier, Loyola. Frankfurt/M. 1979.

Daneš, F.: Věta a text. Praha 1985.

Daneš, F.: Existenzmodi des Textes. In: J. Kořenský – W. Hartung (Hg.), Gesprochene und geschriebene Kommunikation. Praha 1989, S. 49–56.

Franck, D.: Grammatik und Konversation. Stilistische Pragmatik des Dialogs und der Bedeutung deutscher Modalpartikeln. Königstein/Ts. 1980.

Grochowski, M.: Polskie partykuly. Wrocław 1986.

Helbig, G.: Lexikon deutscher Partikeln. Leipzig 1988.

Helbig, G. – Buscha, J.: Deutsche Grammatik. Berlin – München – Leipzig – Wien – Zürich – New York 1991.

Hentschel, E.: Funktion und Geschichte deutscher Partikeln: ja, doch, halt und eben. Tübingen 1986.

Hentschel, E. – Weydt, H.: Handbuch der deutschen Grammatik. Berlin – New York 1990.

Hinrichs, U.: Können Abtönungspartikeln metakommunikativ funktionieren? In: H. Weydt (Hg.), Partikeln und Interaktion. Tübingen 1983, S. 274–290.

Komárek, M.: K jednomu funkčnímu rozdílu v soustavě partikulí. SaS, 40, 1979, s. 139–142.

Kopperschmidt, J.: An Analysis of Argumentation. In: T. v. Dijk (ed.), Handbook of Discourse Analysis. Vol. 2: Dimensions of Discourse. London 1985, S. 159–168.

Malblanc, A.: Stylistique comparée du français et de l’allemand. Stuttgart 1961.

Searle, J. R.: Intentionalität. Frankfurt /M. 1991.

Weydt, H.: Abtönungspartikeln. Die deutschen Modalwörter und ihre französischen Entsprechungen. Bad Homburg – Berlin (West) – Zürich 1969.

 

R É S U M É

Jsou modifikační partikule dialogické?

V našem příspěvku jsme poukázali na zastírání některých funkcí modifikačních partikulí (MP) předpokladem, že tyto partikule jsou typické pro dialogické texty.

MP lze však interpretovat nejen jako prostředky dialogické, propojující repliky dialogického textu (endotextové užití), ale jako výrazy obecně relační, propojující buď různé konkrétní texty (intertextové užití), nebo texty konkrétní a texty mentální, nepojící se nutně na nějaký konkrétní text (exotextové užití).

Existenci exotextové funkce jsme dokazovali mj. poukazem na specifickou strategii užívanou v německých masmédiích.


[1] Ich will jetzt nicht darauf eingehen, ob ein argumentativer Text, wo doch in dieser Funktion statt eines Argumentes verwendet wird, eine dialektische, dem Dialog ähnliche Struktur hat; vgl. dazu Kopperschmidt (1985).

[2] Terminologisch findet diese Funktion ihren Ausdruck z. B. in der Bezeichnung „erinnerndes doch” oder „monologisches doch”; so z. B. bei Franck (1980, S. 175–193). Auch Grochowski (1986, S. 113–118) hält bei der Definition der Partikel przecieź den Gedankenzustand der Gesprächspartner für grundlegend.

Sowohl Franck (1980) als auch Grochowski (1986) gehen von den Aussagesätzen aus, die – wie wir später sehen werden – nicht nur assertive, sondern auch persuasive Funktionen haben.

[3] Die APn wie ja oder doch werden sogar auch als metakommunikative Kommentare bezeichnet (z. B. Hinrichs, 1983; oder auch z. B. Hentschel – Weydt, 1990, S. 283). Das ist insoweit verwirrend, als die Partikeln hier nicht explizit kommentieren, sondern die Äußerung mit den impliziten Informationen in Berührung bringen, die sich zum explizit Ausgedrückten als Gegenthese, Bestätigung, Einschränkung u. ä. verhalten.

Filozofická fakulta Univerzity Karlovy
Praha

Slovo a slovesnost, ročník 54 (1993), číslo 3, s. 202-205

Předchozí Igor Němec, Milada Homolková, Milada Nedvědová, Petr Nejedlý, Jaromír Povejšil: Erscheinungen der schriftlosen Kommunikation in der ältesten schriftlichen Denkmälern

Následující Jiří Nosek: Graphics and phonology: correlation and asymmetry