Igor Němec, Milada Homolková, Milada Nedvědová, Petr Nejedlý, Jaromír Povejšil
[Articles]
Projevy bezpísemné komunikace v nejstarších písemných textech
Die Opposition gesprochen – geschrieben, die seit der Entstehung der Koexistenz der gesprochenen und der geschriebenen Kommunikation alle Pläne der Sprache betrifft, sollte nicht einmal von der Forschung, die sich mit den alten und älteren Sprachperioden beschäftigt, vernachläßigt werden.
Wenn man die Opposition gesprochen – geschrieben vom historischen Aspekt aus betrachtet, so kann man einen elementaren Unterschied in der Fixierung von Erkenntnissen feststellen. Dem George Lakoff nach ist die sprachliche Kommunikation die kennzeichnendste kognitive Aktivität des Menschen (vgl. Piťha, 1991, S. 312). Die Schrift fixiert ihre Ergebnisse. Dem Philosophen Jan Patočka nach ist das Bedürfnis des Festhaltens der sprachlichen Äußerung „alt, urtümlich: dies kommt in der Stereotypik der primär erzählten Geschichten zum Vorschein, in den mit ritueller Genauigkeit tradierten Mythen, in Rezitationen und Gedächtnis stützenden Figuren. Durch die Schrift, d. h. durch das erhaltbar gewordene Wort, erreichen die Objektivierung des Wortes und die Möglichkeiten des Menschen die Stufe der Akkumulierung, Kontrolle, Revision und überhaupt die des Lebens in dem Bereich des objektiven Gedächtnisses. Der Bereich der Aktualität wie der Nicht–Aktualität verbreitet sich mächtig und stabilisiert sich” (Patočka, 1980, S. 65).
Es ist begreiflich, daß in den ältesten schriftlichen Texten Relikte der vorschriftlichen fixierenden Stereotypik erhalten sind. Auf der Textebene begegnen wir verbindlichen Rechtsformeln in einer Zeit, in der das System des kodifizierten Rechts und die Rechtssprache noch nicht entwickelt waren, wie z. B. in der alttschechischen Formel právo železo RožmbA 57 (Typ des Gottesgerichts, wörtlich das Recht Eisen – Rechtsbuch, 14. Jh.)[1] oder dem altrussischen дажь Богь исправити правьда ‚Gerechtigkeit ausüben, sichern’ (s. Srezněvskij, 1958, s. v. ispraviti; vgl. auch Katičić, 1981).
Hierher gehören auch die obligatorischen Höflichkeitsformeln in Briefen wie das alttschechische Službu svú vzkazuji ’zu Diensten immer bereit’ und ferner auch die stereotypen Beschreibungen charakteristischer Situationen, die aus der mündlich tradierten alter Epik bekannt sind. Auf der Ebene der Lexik sind auch Relikte der gesprochenen Stereotypik vorhanden, z. B. die Epiteta constans. Auf der Ebene der Syntax kann man dafür die direkte Rede signalisierenden Konstruktionen halten. Ein Beispiel für ein solches Signal ist das alttschechische povědě a řka:
jemu svatý Arnulfus povědě a řka: … PasKlemA 135a (Der heilige Arnulfus sagte ihm und sprach: … Passional, 14. Jh.) |
und in der Apposition z. B. das homerische ωσ φατο u. ä. mit der Bedeutung ’so sagte er/so sagte sie’:
| Z. B. Odysseia X (Gesang XXII.): | ||
V. 354, 361: Ωσ φατο, …; | V. 326: Ωσ ασα φωνησασ, …; | ||
V. 492, 446: Ωσ εφατ’(εϕαθ’), …; | V. 398: Ωσ ασ’ εφωνησεν, …; | ||
V. 433, 465: Ωσ ασ’ εφη, …; |
| Ilias ß (Gesang 2.): V. 211: Ωσ ειπων, … | |
[199]Das letzte Beispiel bringt uns nahe, daß die Wirksamkeit der gesprochenen Stereotypik oft durch die rhythmische Gliederung des Textes potenziert wird. Deshalb muß in den ältesten Texten – wie z. B. in der Bibel – der Vers nicht Träger einer ausschließlich ästhetischen Funktion sein.
Die Mittel der gesprochenen Stereotypik dienen nicht nur zur Erhaltung der Informationen, sondern auch zur ihren Klassifizierung, Hierarchisierung. In manchen Fällen werden diese Mittel später in der geschriebenen Sprache durch graphische Mittel, namentlich durch die Interpunktionszeichen ersetzt. Die graphische Form trat z. B. an die Stelle der stereotypen gesprochenen Formel wecattā ’und nun’, die in den ältesten hebräischen Briefen aus dem Anfang des ersten Jahrtausends vor unserer Zeitrechnung erhalten blieb und die als Signal des Übergangs von der Begrüßung zur eigentlichen Mitteilung dient (vgl. Bardtke, 1954).
Die Stereotypik hatte jedoch nicht die Möglichkeit, Erkenntnisse in vollem Umfang zu fixieren, das hat erst die geschriebene Sprache möglich gemacht. In einem gesprochenen Text konnte man keine nachträgliche Kontrolle verwirklichen. In der vorschriftlichen Zeit trug es u. a. zur Verbreitung der Polylexie bei. Noch im Alttschechischen fällt auf, wieviel Bennenungen es für einen Begriff gab, z. B. drei Synonyme für die heutige Bennenung každý ’jeder’ – alttschechisch každý, všaký, prokní, oder die synonymischen Adjektivsuffixe –ný, –ní, –ový, –ský. Ein Relikt kann man in den einfachen Konstruktionen, z. B. in der wenig entwickelten Hypotaxe, ferner in der loseren Verbindung von Sätzen und in der instabilen Form der elementaren Konnektoren sehen (Bauer, 1960, S. 21ff.).
Erst die Entstehung einer schriftlichen Fixierung, auf die jederzeit zurückzugreifen möglich war, sicherte ein objektives Gedächtnis und verbreitete den Bereich des Aktuellen und des Nichtaktuellen. Von der Verbreitung und Festigung dieser begriflichen Kategorie kann man kaum die sprachliche Tatsache trennen, daß in den ältesten alttschechischen Texten die Kategorie der markiert nichtaktuellen Verben des Typs dělávat, chodívat – Iterativa von machen, gehen – erschienen war, die heute für die dritte grammatische Aspektkategorie gehalten wird. Die Nichtaktualität ist am markantesten im Präsens, aber die ältesten Beispiele dieser verbalen Kategorie sind vorwiegend im Präteritum belegt. Eine Handlung durch die markierte Präsensform auszudrücken, die nicht in der Zeit der Äußerung stattfindet, war wohl in den vorschriftlichen Äußerungen im Widerspruch zum üblichen Gebrauch des Präsens. Die gesprochenen Äußerungen brachten – zum Unterschied von den schriftlichen Texten – die geäußerten Handlungen mit demjenigen Augenblick des Sprechens in Verbindung, der Vergangenheit und Zukunft voneinander trennte.
In schriftlichen Texten kam es jedoch zu Diskrepanzen zwischen der Gegenwart des Autors und der des Lesers. Unserer Meinung nach förderte dies den Wandel des slawischen Perfektums zum Präteritum – des Perfektums mit dem Merkmal der Vergangenheit wie dem der Gegenwart, das ursprünglich die Handlung nur in die Gegenwart des Sprechers lokalisierte. Dieses Perfektum ist später eine Form geworden, die die Handlung für den Autor wie für den Leser eindeutig in die Vergangenheit delegierte.
Es gibt jedoch noch andere elementare Unterschiede zwischen Geschriebenem und Gesprochenem vom historischen Standpunkt aus. Aus sozialen Gründen überlebte noch die ursprüngliche Priorität der Kommunikation zwischen dem Sprecher und dem Hörer, weil die schriftliche Kommunikation auf einen sehr engen Personenkreis beschränkt war. Dadurch ist das absolute Übergewicht der gesprochenen Äußerungen am Anfang der schriftlichen Kommunikation gegeben (gleich ob sie spontan gesprochen oder vorher schriftlich vorbereitet wurden). Dieses Übergewicht schlägt sich unter anderem in folgenden sprachlichen Fakten nieder: Die Pause bedingt die Interpunktion – das Interpunktionszeichen kopiert sozusagen den Atemzug (Šlosar, 1967). Die direkte und indirekte Rede werden nicht genau unterschieden:
[200]Svatý Pavel jemu vece, ež ten havran na každý den mně… chléb nosi. PasMuzA 88 (Der heilige Paulus hat ihm gesagt, daß der Rabe mir jeden Tag Brot gebracht hat. – Passional, 14. Jh.) |
Strážný tlumači odpověděl, že by to učiniti chtěl, než nesmiem. CestKabK 208b (Der Wächter hat dem Dolmetscher geantwortet, daß er es tun wollte, aber ich darf es nicht. – Reise in das Heilige Land, 15. Jh.) (Bauer, 1960, S. 185–186). |
Die Verba dicendi im Vergleich mit den Verba scribendi haben eine höhere Polysemie, weil sie jede verbale Kommunikation unmarkiert einführen, während die Verba scribendi markiert an das Schreiben gebunden sind. Als Beispiel kann man hier das alttschechische otepsati ’abschreiben’ mit dem Wurzelmorphem pis– ’psát, schreiben’ anführen. Es hat die Bedeutungen ’písemně odpovědět, schriftlich antworten’, ’odpočítat peněžní částku, einen Betrag abziehen’, ’vypustit z textu, aus dem Text weglassen’. Auf der anderen Seite das alttschechische Verb otpověděti ’antworten’ mit der Wurzel –věd– ’říci, sagen’ hat die Bedeutungen ’jazykově reagovat, sprachlich reagieren’, ’ohlásit příchod, die Ankunft melden’, ’odepřít, verweigern’, ’postavit se na odpor, widerstehen’, ’vypovědět nepřátelství, die Feindschaft erklären’ usw.
Man könnte natürlich noch viele andere Erscheinungen anführen, die den Einfluß der gesprochenen Sprache auf die geschriebene Sprache bezeugen. Es ist jedoch nicht immer möglich zu bestimmen, ob sie ein Relikt der schriftlosen, beziehungsweise vorschriftlichen Kommunikation darstellen oder bereits ein Resultat der Koexistenz der geschriebenen und der gesprochenen Sprache.
LITERATUR
Bardtke, H.: Hebräische Konsonantentexte. Leipzig 1954, S. 30, Text 60, Ostrakon 4, Zeile 2 und ähnlich S. 29, Ostrakon 3, Zeile 4. – Für die Transkription danken wir dem Doz. J. Oliverius.
Bauer, J.: Vývoj českého souvětí. Praha 1960.
Katičić, R.: Ispraviti pravьdǫ. Wiener Slavistisches Jahrbuch, 31, 1981, S. 41–46.
Patočka, J.: Spisovatel a jeho věc. In: Osobnost a dílo. Index, Köln 1980.
Piťha, P.: Americká kniha o novém přístupu k jazykovědě a kognitivní vědě. SaS, 52, 1991, s. 311–313.
Srezněvskij, I. I.: Materialy dlja slovarja drevnerusskogo jazyka, T. 1. Moskva 1958.
Šlosar, D.: Poloha enklitik jako kritérion k hodnocení staročeské interpunkce. LF, 90, 1967, s. 251–258.
R É S U M É
Z vývojového hlediska se do protikladu mluvenosti a psanosti promítá elementární rozdíl v možnostech fixace poznatků. Na různých úrovních (textové, lexikální, syntaktické) se v nejstarších písemných textech setkáváme s projevy mluvní stereotypie, často umocněné rytmickým členěním textu, která v předpísemné komunikaci sloužila k uchování a také k hierarchizaci informací. Některé prostředky mluvní stereotypie jsou později v psaném jazyce nahrazovány prostředky grafickými. Nemožnost zpětné kontroly produkovaného textu přispěla mj. k rozvinutí polylexie, která je ve staročeských textech ještě velmi nápadná, stejně jako jsou časté relikty mluvené syntaxe. Až vznik písemného projevu rozšířil a upevnil pojem neaktuálnosti a podnítil [201]tak i rozvinutí kategorie příznakově neaktuálních sloves (typ dělávat). Rozpor mezi přítomností pisatele a přítomností čtenáře, k němuž v písemné komunikaci dochází, mohl podpořit i přeměnu slovanského perfekta v préteritum.
I v počátcích písemnosti mluvené projevy převažují a tato převaha se odráží v i starých psaných textech (pauzový princip interpunkce, prolínání přímé a nepřímé řeči, polysémie verb dicendi ap.). U mnohých jazykových jevů nelze však s jistotou rozhodnout, zda jsou reliktem bezpísemné komunikace, nebo již výsledkem existence mluveného a psaného jazyka.
[1] Die Abkürzungen der alttschechischen Denkmäler führen wir nach dem Alttschechischen Wörterbuch (Staročeský slovník. Úvodní stati. Soupis pramenů a zkratek. Praha 1968) an.
Ústav pro jazyk český AV ČR
Praha
Slovo a slovesnost, volume 54 (1993), number 3, pp. 198-201
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