Časopis Slovo a slovesnost
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Zum Status der Satzadverbiale

Ewald Lang (Berlin)

[Articles]

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Ke statusu větných adverbií / К статусу наречий предложения / Question du statut des adverbes de phrase

0. Einführung. Im Unterschied zu den meisten vorangegangen Beiträgen auf dieser Konferenz, in denen ausgehend von einem linguistisch nicht so leicht fixierbaren Konzept wie Gewißheitsmodalität, Intentionsmodalität etc. die jeweils so charakterisierbaren Sprecheinstellungen durch ausgewählte Varianten ihrer sprachlichen Ausgedrücktheit illustriert wurden,[1] versucht dieser Beitrag, das Phänomen Sprechereinstellung von einem grammatisch fixierbaren Ausschnitt her in der entgegengesetzten Blickrichtung anzuvisieren. Beschränkt auf die Ausdruckskategorie „Satzadverbial“ (Sadv) werden die linguistisch zu beschreibenden Bedingungen skizziert, denen gemäß Sprechereinstellungen durch Sadv realisiert werden. Sprechereinstellungen modifizieren Mitteilungen. Wenn Sadv Sprechereinstellungen ausdrücken, und das setze ich als unstrittig voraus, dann kann es linguistisch nur darum gehen, die durch Sadv bewirkte Modifikation bezüglich der sprachlichen Struktur der Mitteilung in sämtlichen Aspekten zu erfassen. Und das wiederum heißt: Den Status des Sadv als Modifikator jeweils in Termen der syntaktischen, semantischen und pragmatischen Beschreibung zu bestimmen und dann diese ebenenspezifischen Charakterisierungen zu einer Gesamtbeschreibung zu verbinden. Infolge der gesetzten Umfangsbeschränkungen kann der folgende Überblick nur thesenhaft in der Ausführung und apodiktisch im Ton ausfallen.

 

1. Materialausschnitt

1.1. Sadv sind eine in sich ziemlich heterogen zusammengestellte Ausdruckskategorie, deren einzelsprachliche Belegung zudem selbst bei so verwandten Sprachen wie Deutsch und English oder bei verschiedenen Slawinen untereinander erheblich variieren kann. Der Sadv-Fundus von Einzelsprachen ist von verschiedenen Autoren subklassifiziert worden, meist nach recht gemischt zusammengestellten Kriteriensätzen, in denen Merkmale der syntaktischen Position von Sadv, Grade ihrer Integration in die Satzstruktur, Aspekte ihrer lexikalischen Bedeutung und pragmatisch zu nennende Kennzeichen ihrer Funktion in der Rede sozusagen gleichberechtigt nebeneinander als Klassifizierungsinstanz fungieren. Ein solches Vorgehen ist zwar relativ zum aktuellen Kenntnisstand verständlich und auch nützlich im Sinne der Faktenerhebung, im Sinne einer linguistischen Erklärung jedoch ist eine solche Methode nicht unmittelbar ergiebig. Mein Vorschlag, die Sadv-Beschreibung nach ebenenspezifischen separaten und dann zu korrelierenden Statusbestimmungen aufzubauen, ist in diesem Sinne auf Erklärung aus, d. h. er folgt dem Prinzip, daß die auf der syntaktischen Ebene konstatierbaren Fakten auch in Termen der semantischen und pragmatischen Beschreibungsebene interpretierbar sein müssen und umgekehrt. Es geht nicht um das Nebeneinander von Aspekten und Merkmalen, sondern (im Ziel) um deren Korrelation. Damit impliziert der Vorschlag auch den (hier leider nicht durchführbaren) Versuch, ein Raster zu entwickeln, nach dem die äußerst faktenreichen Klassifikationsuntersuchungen erklärungsbezogen interreliert und ausgewertet werden könnten.[2]

[201]1.2. Unter Hinweis auf das durch Fülle und Vielfalt bestimmte Klassifikationsproblem beschränke ich meinen zur Diskussion von Statusfragen benutzten Beispielvorrat auf deutsche Sadv der drei Gruppen

A: vermutlich, wahrscheinlich, möglicherweise, vielleicht

B: bedauerlicherweise, leider, überraschenderweise, klugerweise

C: tatsächlich, wirklich, in der Tat

ohne eine umfassende Rechtfertigung für die Unterschiede zwischen und innerhalb dieser Gruppen zu geben. Für die nachfolgende Diskussion ist nur wesentlich: (1) Die Sadv in B unterscheiden sich von denen in A dadurch, daß sie eine sog. „faktive Präsupposition“ induzieren; (2) die Sadv in C unterscheiden sich von A und B dadurch, daß sie neben dem (mit A und B geteilten) unbetonten Vorkommen auch die Möglichkeit betonten, d. h. Hauptakzent tragenden Vorkommens aufweisen.[3]

 

2. Syntaktischer Status der Satzadverbiale

2.1. Die Sadv fallen aus allen traditionellen Satzgliedbestimmungen heraus. Sie sind keine eigenständigen Satzglieder wie etwa Lokal-, Temporal- oder Modaladverbiale, was sich u. a. darin zeigt, daß Sadv weder erfragt noch durch Pro-Formen ersetzt werden können. Vgl. Wie schläft Hans hier? Ausgezeichnet! /*Leider/ *Wahrscheinlich; Hans schläft hier ausgezeichnet und ebenso ißt er hier aber: Hans schläft hier wahrscheinlich/leider und *ebenso ißt er hier. Sadv sind auch nicht Teile von Satzgliedern wie etwa adjektivische oder präpositionale Attribute, das zeigt sich in ihren völlig andersartigen Distributions- und Permutationseigenschaften. Und erst recht sind Sadv natürlich nicht Glieder, die andere Satzglieder enthalten. Wir benötigen also zur Bestimmung der Sadv ein anderes Konzept. Alle Satzgliedkonzepte sind semantisch-syntaktische Zwitter. Es liegt daher nahe, den syntaktischen Status von Sadv mit (zunächst) rein syntaktischen Begriffen zu bestimmen. Als allgemeiner Vorstellungsrahmen scheint mir hierfür die Kategorialgrammatik besonders geeignet,[4] weil sie die Differenz von Sadv gegenüber anderen Arten von Adv von ihrer Anlage her grundsätzlich klar macht.

2.2. Sadv sind (in kategorialgrammatischer Redeweise) demnach Satzoperatoren eines bestimmten Typs. Satzoperatoren sind Einheiten, die angewandt auf eine Einheit s der Kategorie Satz eine strukturell modifizierte Einheit s’ der Kategorie Satz ergeben. Die Typenspezifik der Sadv-Operatoren besteht (i) in den Anwendungsbedingungen: ein Sadv-Operator kann nur auf eine strukturell determinierte Teilmenge aller Einheiten der Kategorie Satz angewandt werden (vgl. dazu 2.9.); (ii) im Anwendungsresultat: Durch Anwendung eines Sadv-Operators auf einen Satz s wird die resultierende Struktur s’ um ein Sadv erweitert und zugleich wird in s’ eine auf das Sadv bezogene Konstituente identifiziert, die Bezugskonstituente des Sadv.

2.3. Was die Bezugskonstituente eines Sadv sein kann, ist determiniert (i) durch Regeln, die bezüglich der Konstituten von s die Grundreihenfolge, Permutierbarkeit [202]und Akzentzuweisung bestimmen, sowie (ii) durch generelle (und idiosynkratische) Beschränkungen für den syntaktischen Typ der Bezugskonstituente. (Indefinite Artikel, Indefinit- und Fragepronomina, Partikel, Konjunktionen und Sadv selbst können normalerweise nicht Bezugskonstituente eines Sadv sein.)

2.4. Was die Bezugskonstituente eines Sadv in einem gegebenen Satz s ist, kann man daran erkennen, daß die Bezugskonstituente des Sadv entweder diejenige Konstituente in s ist, die den Hauptakzent (Fokus) trägt oder diejenige, die den Fokusträger unmittelbar dominiert (im Sinne der P-Marker-Struktur). Bei Zuordnungsmehrdeutigkeiten kann die Bezugskonstituente durch explikative Kontexte identifiziert werden. (Vgl. 2.6. unten.) Daduch, daß die Bezugskonstituente in jedem Falle den Fokus von s umfaßt, sind Konstituenten, die nicht fokusfähig sind, von vornherein ausgeschlossen, was die in 2.3. genannte Beschränkung erklärt, und impliziert, daß die betonbaren Vorkommen von Sadv aus der Gruppe C hiervon auszunehmen sind.

2.5. Illustrationsfragment. Die in 2.2.—2.4. aufgestellten Behauptungen sollen nun durch eine Miniatursyntax zu einem Beispielsample kontrollierbar illustriert werden. Wir nehmen als s, auf den ein Sadv als Operator angewandt werden soll, einen einfachen deutschen Hauptsatz in zwei Varianten: I. Subj-Verb Grundstellung, II. Subj-Verb Inversion (letztere, weil sie ein Angelpunkt der deutschen Syntax ist). Wir verzeichnen die aus I und II ableitbaren kombinatorischen Varianten und kennzeichnen durch ein ’*’ vor dem Satz eine kombinatorisch bedingte Abweichung, durch dasselbe Zeichen ’*’ vor einer gesperrt repräsentierten Konstituente hingegen die Abweichung, die sich ergibt, falls die betreffende Konstituente den Satzakzent bekommt. Alle übrigen Beispiele sind ohne Einschränkungen variabel fokussierbar, d. h. so steht z. B. (1a) Leider schläft Hans hier für alle akzeptablen Varianten: Leider schläft Hans hier; Leider schläft Hans hier; Leider schläft Hans hier. Jedes Beispiel steht also für sämtliche dem Satz s bei gegebener Struktur dem Sadv zuzuordnenden Bezugskonstituenten, vermerkt werden nur die Lücken. In ’[…]’ wird die Regel vermerkt, die die Verletzung erklärt. Bezüglich des Beispielsamples sind alle Sadv aus A, B und die unbetonten Vorkommen von Sadv aus C in ihrem Verhalten gleich.

 

Ausgangsvariante I: Hans schläft hier

Sadv-Varianten davon: 

(1)

(a) Leider schläft Hans hier

 

(1)

(b) Leider *schläft *hier Hans

[R-3a]

(2)

(a) Hans schläft leider hier

 

(2)

(b) Hans schläft hier leider

 

(3)

(a) *Leider Hans hier schläft

[R-1b]

(3)

(b) *Leider Hans schläft hier

 

(4)

(a) *Hans leider schläft hier

[R-1a]

(4)

(b) *Hans leider hier schläft

 

Ausgangsvariante II: Hier schläft Hans

Sadv-Variante davon:

(5)

(a) Leider schläft Hans hier

 

(5)

(b) Leider *schläft *hier Hans

[R-3a]

(6)

(a) Hier schläft Hans leider

 

(6)

(b) *Hier *schläft leider Hans

[R-3b]

[203](7)

(a) *Leider hier schläft Hans

[R-2a]

(7)

(b) *Leider hier Hans schläft

 

(8)

(a) *Hier leider schläft Hans

[R-2b]

(8)

(b) *Hier leider Hans schläft

 

Die Regeln, die diese Faktenzusammenhänge abdecken und in einer deutschen Syntax (natürlich mit wesentlichen Revisionen und Anpassungen) reflektiert werden müssen, lauten verbal formuliert etwa so:

[R-1]

Ein Sadv steht in einem deutschen Hauptsatz entweder

 

(a)

bei Subj-Verb Grundstellung hinter dem finiten Verb und vor der Rest-Verbalphrase

 

 

oder

 

(b)

mit obligatorischer Subj-Verb Inversion an der Satzspitze.

[R-2]

Wenn Inversionsregel bereits angewandt und Satzspitze bereits durch eine Konstituente K besetzt ist, dann gilt entweder

 

(a)

Sadv erhält Position von K und K wird nach rechts verschoben hinter den Inversionsbereich, oder

 

(b)

Sadv wird nach rechts hinter den Inversionsbereich verschoben und K behält seine Spitzenposition bei.

[R-3]

Nur wenn die Subj-Konstituente fikussiert ist, d. h. durch die Akzentzuweisungsregeln den Hauptakzent erhält, können K oder Sadv sekundär, d. h. nach Anwendung von [R-1b, R-2a] bzw. von [R-2b], in der Inversionsbereich verschoben werden. Jede weitere Verschiebung von Konstituenten ist akzeptabilitätsmindernd.

Damit sind die Punkte 2.2.—2.4. illustriert inbezug auf die Distribution der Sadv und den dadurch determinierten Spielraum der jeweils möglichen Bezugskonstituenten des Sadv. Zur Festslegung der Bezugskonstituente eines gegebenen Satzes innerhalb des durch [R-1] — [R-3] bestimmten Spielraums ist der Rekurs auf positiv formulierte Akzentzuweisungsregeln erforderlich. Wie ist nun das soweit charakterisierte Konzept „Bezugskonstituente“ weiter zu interpretieren?

2.6. Sadv und Fokus- bzw. Rhemazuweisung. Da die Bezugskonstituente eines Sadv stets die den Satzakzent tragende Konstituente umfaßt, besteht zwischen der Sadv-Syntax und der Thema-Rhema-Gliederung ein enger Zusammenhang. Die für die durch (1)—(8) repräsentierten Sätze zuständigen Akzentzuordnungsregeln enthalten als Teilmenge natürlich auch die Regeln für die Akzentzuweisung für Sätze ohne Sadv. Daraus erklärt sich auch, weshalb bestimmte Fälle von Mehrdeutigkeit der Fokus- bzw. Rhemazuweisung bei Sätzen ohne Sadv sich in den entsprechenden satzadverbialisierten Varianten wiederfinden. Es sind dies die Fälle, wo der Sadv-Operator auf diesbezüglich bereits mehrdeutige Strukturen angewandt wird.[5] Ein solcher Fall ist 

(9)

Leider schläft hier Hans

was entweder nach [R-1b, R-3] auf 

(10)

Hans schläft hier

oder nach [R-2a, R-3] auf 

[204](11)

Hier schläft Hans

bezogen werden könnte. Dabei ist die Struktur von (11) schon mehrdeutig in der Hinsicht, ob das Rhema nur [Hans] umfaßt oder den ganzen Satz. Entsprechend ist bei (9) die Bezugskonstituente des Sadv entweder [Hans], oder [Satz] — wenn wir diesmal als Namen für die passend kategorisierten Konstituenten nehmen. Man kann sich die Parallelität — und damit einen wichtigen Aspekt des Zusammenhangs von Modifizierung eines Satzes durch ein Sadv und seiner aktuellen Gliederung (FSP) — verdeutlichen durch disambiguierende explikative Kontexte. Eine Frage wie Wer schläft denn hier? legt, sofern sie mit (9) bzw. (11) beantwortet wird, die Bezugskonstituente des Sadv in (9) bzw. das Rhema in (11) auf [Hans] fest. Setzt man hingegen einen Textanfang wie Das Zimmer ist belegt mit (9) bzw. (11) fort, so erfolgt eine Festlegung auf [Satz]. Ich will damit für Sätze mit Sadv keineswegs eine generelle Identifizierung von Bezugskonstituenten und Rhema vornehmen, sondern lediglich andeuten, daß hier ein Überschneidungsbereich vorliegt, dessen syntaktische Aspekte ohne Benutzung eines Konzepts wie „Bezugskonstituente“ kaum angemessen beschreibbar sind. Auf jeden Fall gilt: Die Bezugskonstituente eines Sadv ist rhematisch. Aber gibt es auch eine semantische Rekonstruktion der Bezugskonstituente? Ein semantisches Pendant zum formalen Begriff Satzoperator werden wir in Abschnitt 3 entwerfen. Für die Bezugskonstituente hingegen existiert m. E. kein direktes Gegenstück in der Semantik, zumindest nicht in dem Bereich, der gemeinhin als „propositionale Semantik“ oder „Satzsemantik“ (im Unterschied zu „Äußerungssemantik“) bezeichnet wird. F. Daneš hat das folgende Beispiel in die Diskussion geworfen mit der Bemerkung, daß 

(12)

(a) Wahrscheinlich hat dein Junge die Scheibe eingeworfen

 

(b) Wahrscheinlich hat dein Junge die Scheibe eingeworfen

„doch wohl zweierlei Dinge“ seien. Das sind sie gewiß. Allein schon, weil das Sadv in (12) (a) eine andere Bezugskonstituente hat als das in (12) (b). Diese Differenz wirkt sich aber m. E. nicht auf den Sinn und somit nicht auf die propositionale Bedeutung dieser Sätze aus, sondern darauf, wie diese Satzstrukturen als Äußerungen bezüglich bestimmter Kontext- und Interaktionsbedingungen angemessen kommuniziert und interpretiert werden. Die Formulierung von Regeln, die diese Bedingungsgefüge auf die Struktur von Äußerungen beziehen, gehört in den Bereich der Pragmatik. Und in diesem Bereich, in dem auch alle FSP-Phänomene zu interpretieren sind, ist dann eine Zuordnung herzustellen zwischen den Begriffen „Bezugskonstituente eines Sadv“ und „Schwerpunkt einer einstellungsbewerteten Mitteilung“.

Auf die Diskussion verschiedener Vorschläge, die syntaktische Bezugskonstituente eines Sadv mit seinem semantischen Geltungsbereich oder Skopus zu identifizieren, muß ich leider verzichten. Zu Skopusproblemen vgl. 2.8. unten. Bevor ich auf die Bestimmung des semantischen Status der Sadv zu sprechen komme, muß ich noch drei Punkte aus dem Bereich anführen, wo syntaktische und semantische Betrachtungsweisen sich leicht vermischen und daher Unklarheiten zeitigen.

2.7. Kombinierbarkeit von Sadv. Unsere Regeln determinieren auch die Bedingungen für Mehrfachvorkommen von Sadv innerhalb eines Satzes, wobei wir natürlich eine verschiedene lexikalische Belegung der Sadv voraussetzen. Wenn wir in [R-2] für K = Sadv’ setzen, dann ist erklärt, weshalb Strukturen wie 

(13)

(a) *Wahrscheinlich leider schläft Hans hier

 

(b) *Leider wahrscheinlich schläft Hans hier

unakzeptabel sind. Eine Verletzung von [R-1a] liegt vor z. B. in: 

[205](14)

(a) *Hans schläft wahrscheinlich leider

 

(b) *Hans schläft leider wahrscheinlich

Nun sind aber Mehrfachvorkommen von Sadv keineswegs ausgeschlossen, weder in direkten Aufeinanderfolge wie in (15), was durch [R-1a], noch in diskontinuierlicher Folge, wie in (16), was ebenfalls durch unsere Regeln abgedeckt ist:

(15)

(a) Hans schläft leider wahrscheinlich hier

 

(b) Hans schläft wahrscheinlich leider hier

 

 

(16)

(a) Leider schläft Hans wahrscheinlich hier

 

(b) Wahrscheinlich schläft Hans leider hier

Daß es für zulässigen wie für die unzulässigen Kombinationen von Sadv syntaktisch-distributionell begründbare Regeln gibt, ist ein wichtiger Punkt. R. Bartsch[6] hat beispielsweise auf dem Hintergrund ihrer Semantikkonzeption aus der Beobachtung der Nichtakzeptabilität von Strukturen wie (13) und (14) auf eine grundsätzliche Nichtkombinierbarkeit von Sadv geschlossen, d. h. sie hat Strukturen wie (15) und (16) völlig außer Acht gelassen und sie hat überdies vorschnell semantische Gründe gesucht (und formuliert) für Fakten, die offensichtlich in den Regeln der deutschen Syntax verankert sind.[7] Was nicht bedeutet, daß es nicht zusätzlich zu diesen syntaktischen auch semantische Beschränkungen in der Kombinatorik von Sadv gibt. Auf eine solche kommen wir gleich zu sprechen.

2.8. Skopusbildung bei Sadv. „Skopus“ ist ein aus der symbolischen Logik entlehnter Begriff, der definiert ist als „Geltungsbereich eines Operators innerhalb des ihm als Operationsdomäne zugeordneten (komplexen) Ausdrucks“. Interessant werden Skopusbetrachtungen erst, wenn innerhalb einer Formel zwei oder mehr Operatoren sich in dieselbe Operationsdomäne teilen. So steht bei „¬ Ax Ey [P(x) → Q(y)]“ der E-Operator im Skopus des A-Operators und beide stehen im Skopus der Negation, entsprechend anders bei der weder syntaktisch noch semantisch äquivalenten Formel „Ey Ax ¬ [P(x) → Q(y)]“. Bei Übernahme dieser Begriffe in die linguistische Semantik haben wir uns nun zu fragen, wie das mit den Skopus Verhältnissen z. B. dann ist, wenn mehrere Sadv, die wir ja auch semantisch als Operatoren auffassen wollen (Vgl. 3.2. unten), in einer Satzstruktur auftreten. Also z. B. bei (15) und (16). Die (a)- und (b)- Varianten dieser Sätze unterscheiden sich nur durch die syntaktische Abfolge der Sadv. Nun ist aber die Oberflächensyntax einer natürlichen Sprache keine logische Syntax und man darf — so verführerisch das aussieht — die Differenz etwa zwischen (15, 16) (a) einerseits und (15, 16) (b) andererseits nicht einfach mit dem Interpretationsunterschied der oben angeführten logischen Formelausdrücke parallelisieren. Ich würde, was die analog zur logischen Syntax formulierbaren Skopusverhältnisse betrifft, für alle Sätze in (15, 16) dieselbe Strukturformel annehmen:

(17)

LEIDER [WAHRSCHEINLICH [p]]

wobei p für eine angemessene Repräsentation von „Hans schläft hier“ steht und der wahrscheinlich entsprechende Einstellungsoperator im Skopus des leider entsprechenden steht, keinesfalls aber umgekehrt. Diese — nach langwierigen Interpretationsbemühungen getroffene — Festlegung auf dieses Skopusverhältnis gründet sich letzt[206]lich auf die bereits in 1.2. erwähnte Beobachtung, daß leider zu den „faktiven“ Sadv gehört, wahrscheinlich hingegen nicht. Daß faktive Sadv nicht im Skopus von nicht-faktiven stehen können, ist ganz provisorisch so umschreibbar: Wenn ein Sachverhalt, daß p, Gegenstand einer Bedauernseinstellung ist, dann wird das Zutreffen von p „präsupponiert“, also für eine Tatsache oder Gegebenheit erachtet, bei einer durch wahrscheinlich ausgedrückten Einstellung hingegen liegt der Sachverhalt, daß p, im Bereich des Erwartbaren, aber eben nicht des für gegeben Erachteten. Bei allem Vorbehalt gegen Paraphrasierungen als Erklärungshilfe[8] könnte man alle Sätze in (15, 16) auf die Lesart bringen:

(18)

Leider ist die Lage so, daß wahrscheinlich p zutrifft

So kann eine Gegebenheit („die Lage“) bedauert werden, die darin besteht, daß man etwas für wahrscheinlich halten muß, aber es ist umgekehrt ziemlich absurd, etwas für wahrscheinlich zu erachten, was man bedauert und damit qua Präsupposition zugleich auch für gegeben hält. Skopusfragen sind heikel. Daß ich mit (17) für immerhin vier syntaktische Varianten ein und dieselbe semantische Skopusformel angenommen habe, also auf Oberflächenabfolge kaum Rücksicht nehme, gewinnt einige Plausibilität durch den Vergleich mit den Ergebnissen ausführlicher Skopusuntersuchungen, wie sie vorallem A. Kroch[9] für die Quantorenausdrücke des Englischen vorgenommen hat. Er kommt zu dem Fazit:

(19) Treten in einem Satz mehrere skopusbildende Ausdrücke auf, so sind sie bezüglich der Skopusverhältnisse zunächst grundsätzlich mehrdeutig und der Spielraum der Interpretation wird nach bestimmten Präferenzen bzw. durch bestimmte vom Typ des Operators anhängige, im Lexikon zu vermerkende Eigenschaften eingeschränkt.

Und offenbar sind die Sadv der Gruppen B und C mit der inhärenten semantischen Eigenschaft ausgestattet, daß sie nicht im Skopus von anderen Sadv im selben Satz auftreten können. Daß (15, 16) (a) bezüglich (17) als akzeptabler empfunden werden, signalisiert eine Präferenz.[10] In 2.7. war das Problem, daß syntaktische Fakten nicht mit semantischen verwechselt werden dürfen, hier haben wir das Problem, der Verwechslung von semantischen Fakten mit syntaktischen zu entgehen. Daß Sadv Skopusbildner sind, ist bereits ein Teil der Charakterisierung ihres semantischen Status.

2.9. Sadv in Relation zu anderen Operatoren. Hier können wir die in 2.2. (i) gemachte Klausel betreffs der Bedingungen, die ein Satz s erfüllen muß, damit ein Sadv auf ihn angewandt werden kann, wieder aufgreifen und direkt an 2.8. anschließen: Es sind Gruppen von Einschränkungen zu formulieren bezüglich des Vorkommens von Sadv. Die erste Gruppe von Einschränkungen läuft unter dem Generalnenner: Ein Sadv als Satzoperator (bzw. als Einstellungsoperator, vgl. 3.2.) kann nicht auf eine Satzstruktur angewandt werden, die ihrerseits bereits Operationsdomäne eines anderen, und zwar typverschiedenen, also Nicht-Sadv-Operators ist. Dies gilt für Fragesätze, Imperativsätze, Wunschsätze. Wenn wir die betonbaren Vorkommen von Sadv aus C wiederum ausnehmen, dann gilt: 

[207](20)

(a) *Wer schläft leider/wahrscheinlich hier?

 

(b) *Schläft Hans leider/wahrscheinlich hier?

 

(c) *Schlaf leider/wahrscheinlich hier!

 

(d) *Schliefe er doch wahrscheinlich/hoffentlich/leider hier!

Daß die Blockierung hier in der Anwendungsrichtung Sadv auf Fragesatz etc. besteht, und nicht, wie man rein technisch ja auch annehmen könnte, umgekehrt, also Frageoperator auf Satz mit Sadv, wird gestützt durch die Tatsache, daß die Sadv auch nicht in Sätzen auftreten können, die meist als explizit performativ formulierte Äquivalente zu (20) aufgefaßt werden:

(21)

(a) *Ich frage dich hiermit leider/wahrscheinlich, wer hier schläft

 

(b) *Ich frage dich hiermit, wer leider hier schläft

 

(c) *Ich möchte hiermit leider wissen, wer hier schläft

 

(d) *Ich möchte hiermit wissen, wer leider hier schläft

 

(e) *Ich fordere dich leider hiermit auf, wahrscheinlich hier zu s.

Das Sadv in den Komplementsatz zu packen, führt unbedingt zu Abweichungen. Die Sätze (21) (a), (c) aber könnten ohne das hiermit als ganz normale Deklarativsätze interpretiert werden, allerdings dann nicht als Varianten von (20).

Die zweite Gruppe von Beschränkungen läuft unter der Losung: Ein Sadv kann nicht im Skopus eines anderen, und zwar typverschiedenen Operators sein. Hierunter fallen u. a. die folgenden Strukturen:

(22)

Negation: *Hans schläft nicht leider/wahrscheinlich hier

(23)

Quantifikation: *Hans schläft immer leider hier

Daß Sadv nicht quantifizierbar sind, also nicht im Skopus von immer etc. stehen können, erklärt auch, weshalb die folgenden Sätze 

(24)

(a) Immer schläft Hans leider hier

 

(b) Leider schläft Hans immer hier

nur im Skopusverhältnis LEIDER [IMMER (p)] interpretiert werden können. Ein weiterer Beleg für die in 2.8. vorgebrachte Annahme. Sadv können auch kaum koordiniert und kompariert werden, selbst wenn man hier nicht so ganz sichere Akzeptabilitätsurteile fällen kann. Vgl.

(25)

(a) *Hans schläft leider und überraschenderweise hier

 

(b) *Hans schläft ebenso wahrscheinlich hier wie Fritz vermutlich bei Inge

Sadv können auch nicht alternativ erfragt oder gegenübergestellt werden:

(26)

(a) *Schläft Hans leider oder glücklicherweise hier?

 

(b) *Hans schläft nicht nur leider, sondern auch überraschenderweise/entweder leider oder glücklicherweise hier

Es scheint plausibel, den schon in 2.2.—2.4. genannten Befund, daß Sadv nicht fokusfähig sind — was die rein formale Defektheit der Beispiele (22)—(26) erklären würde — mit den Skopusbedingungen zu verbinden und für beides zusammen letzlich semantische Interpretationen zu suchen, und zwar semantische Argumente, die mit dem Status der Sadv zusammenhängen. Die oft als Paraphrasen herangezogenen Sätze etwa mit einem Matrixsatz derart: Es ist wahrscheinlich, daß … etc. sind all den in 2.9. aufgezählten Beschränkungen nicht unterworfen.

 

[208]3.0. Semantischer Status der Sadv

3.1. Bei der semantischen Analyse werden Sätze mit Sadv meist projiziert auf Sadv-freie Paraphrasen, die die kompositionelle Gliederung der Satzbedeutung scheinbar expliziter darstellen, also transparent machen sollen. So wird häufig mit dem Hinweis auf (nicht weiter explizierte) Wahrheitsbedingungen postuliert, daß 

(27)

(a) Es ist wahrscheinlich, daß Hans hier schläft

 

(b) Wahrscheinlich schläft Hans hier

dieselben Wahrheitsbedingungen hätten, weil kaum ein Fall vorstellbar sei, wo (27) (a) wahr, aber (27) (b) falsch sei oder umgekehrt. Ebenso wird gewöhnlich behauptet, daß aus 

(28)

(a) Es ist bedauerlich, daß Hans hier schläft

 

(b) Leider schläft Hans hier

gleichermaßen folge Hans schläft hier. Solange man Matrixsatzparaphrasen als Explikat der Wahrheitsbedingungen von Sätzen mit Sadv nimmt, kommt man natürlich aus dem Zirkel nicht heraus. Daß zwischen (a) und (b) in (27) und (28) erhebliche Unterschiede bestehen, ist häufig bemerkt worden, die Konsequenzen sind verschieden, aber die Rückbindung an die Paraphrasen bleibt doch meist irgendwie erhalten. Die zentrale Frage heißt: Wie finden wir einen Ansatz, den Sadv einen semantischen Status sui generis zuzuweisen?

Die meisten Autoren fassen Sadv semantisch als Einstellungsprädikate auf. Aber Prädikate worüber? I. Bellert[11] z. B. schlägt vor, (i) Sadv wie in (27) und (28) „should be interpreted as predicates over the truth of the proposition expressed by the respective sentence“; (ii) Matrixsätze wie in (27) und (28) hingegen seien „predicates over the fact, event, or state of affairs referred to be the sentence“. Sätze mit Matrixsatz „express one complex proposition“, Sätze mit Sadv (dieses Typs) „express two propositions“. Leider sagt Bellert nicht, wie diese zwei Propositionen aussehen sollen. Hinzu kommt, daß das Argument, auf das sich die Annahme (i) stützt, gerade lautet: „Every sentence containing a modal adverbial can be paraphrased by a more explicit statement expressing a complex proposition, in which the adverb is clearly a predicate of the truth“ (p. 343), also:

 

(27/28) (c) Es ist wahrscheinlich/leider wahr, daß Hans hier schläft

 

Unklar bleibt, was ein Prädikat über die Wahrheit ist. Und unklar bleibt auch, was dieses Prädikat denn nun gerade von der Spezifik der Sadv abbildet. Die vielen Beschränkungen, die wir in 2.6—2.9. erwähnt haben, berühren ein landläufiges logisches Prädikat nicht ohne weiteres.

3.2. Ich möchte in aller Kürze einen anderen Vorschlag skizzieren, der in die Annahme mündet: 

(29)

Sadv haben semantisch von Status von Einstellungsoperatoren, die Propositionen in bewertete Äußerungen überführen

Die Idee beruht auf einer Ausweitung und Übertragung von M. Bierwisch,[12] wo in Anlehnung an das Fregesche Konzept des „Urteils“ ein System von kognitiven Einstellungen „as pre-reflexive ways of appreciating actual or possible state of [209]affairs“ postuliert und eine provisorische Zuordnung zwischen Einstellungstypen und (grammatischen) Satztypen (Deklarativ-, Frage-, Imperativsatz) vorgenommen wird.

Der zu (29) hinführende Gedankengang ist etwa folgender: Zunächst ist es wichtig, den Globalbegriff „Semantik“ zu dekomponieren, und entsprechend dann Aspekte der Satzbedeutung zu differenzieren. Sätze sind sprachliche, durch die Grammatik determinierte Gebilde. Äußerungen sind Vorkommen von Sätzen in aktualen Kontexten. Sätze haben eine in Anhängigkeit von ihrer lexikalischen und syntaktischen Struktur kompositionell aufgebaute Satzbedeutung. Äußerungen haben eine durch Anwendung der Satzbedeutung auf den Kontext determinierte Äußerungsbedeutung. Die Satzbedeutung umfaßt — neben anderem — die durch den Satz ausgedrückten (einfachen oder komplexen) Propositionen, also das, wofür sich die Bezeichnung „propositionale Bedeutung“ eingebürgert hat.

Eine Proposition p identifiziert einen Sachverhalt in einer möglichen Welt w. Wenn der durch p identifizierte Sachverhalt in der Welt w besteht, so sagen wir: „w erfüllt p“ oder „p ist wahr-bezüglich-w“, beide Redeweisen sind zunächst gleichwertig, die erste ist aber geeignet, als Ausgangsformulierung einer grundlegenden Erfüllungsrelation zu dienen, als deren Spezialisierung dann andere Bewertungen aufgefaßt werden können. Die Identifizierung eines Sachverhalts in w durch eine Proposition p entspricht nun etwa dem, was Frege das „Fassen eines Gedankens“ genannt hat. Das Fassen eines Gedankens ist jedoch unweigerlich verbunden mit einer Einstellung zu diesem Gedanken. Ein Gedanke gelangt nie nackt an die Öffentlichkeit, stets ist er verbunden mit einer (emotionalen, intentionalen, epistemischen etc.) Einstellung, gleichviel, ob die jeweilige Einstellung einen sprachlichen Reflex in der Struktur des Satzes hat, mithilfe dessen der Gedanke geäußert wird. Während in der hier benutzten Redeweise das „Fassen eines Gedankens“ Freges der Identifizierung eines Sachverhalts mit der unspezialisierten Erfüllungsbedingung „w erfüllt p“ entspricht, ist Freges „Urteilen“ hingegen aufzufassen als die Festlegung der möglichen Welt w bezüglich derer p bewertet wird. Wenn Frege „Urteilen“ versteht als „den gefaßten Gedanken als wahr anerkennen“, dann ist damit zweierlei festgelegt: 

(i)

die Welt w ist die aktuale wirkliche Welt wo

(ii)

wo erfüllt p“ bzw. „p ist wahr“ (in wo)

Daß man berechtigterweise Freges „als wahr anerkennen“ in die beiden Festlegungen (i) und (ii) aufspalten kann, ergibt sich aus linguistisch-semantischen Überlegungen, auf die Frege, dem es ja um die (klassische) Logik ging, nicht Rücksicht zu nehmen brauchte. Es ist sinnvoll zu unterscheiden zwischen „möglicher Welt“ und „aktualer Welt“, dies ist eine Differenzierung die aus semantischen Gründen gemacht werden muß. Die Unterscheidung von „fiktiver Welt“ und „wirklicher Welt“ ist eine Sache der Empirie und Erkenntnistheorie. In Freges Zwecksetzung fallen (i) und (ii) zusammen, für die Charakterisierung von (dem Urteilsoperator analoger) Einstellungsoperatoren ist die getrennte Sehweise aber eventuell günstiger. Ich will das nun kurz entwickeln: Nehmen wir an, der Satz 

(30)

Hans schläft hier

sei mit einem (nicht explizitierten) Urteilsoperator versehen, für den in der Repräsentation der Satzbedeutung eine passende Verankerung vorzusehen ist. Dies besagt dann, daß die durch (30) ausgedrückte Proposition auf die aktuale Welt wo bezogen wird. Die aktuale Welt is die durch den Kontext eines Äußerungsvorkommens von (30) determinierte Welt (es muß nicht die wirkliche Welt sein), in der es eine Person namens Hans, einen Ort, der als Belegung des indexikalischen Ausdrucks hier fun[210]giert, und eine die Bedingungen von schläft erfüllende Relation bzw. einen solchen Zustand geben muß. Und der Urteilsoperator bewertet die durch (30) ausgedrückte Proposition als (unmarkiert) wahr bezüglich wo.

Betrachten wir nun noch einmal 

(27)

(a) Es ist wahrscheinlich, daß Hans hier schläft

 

(b) Wahrscheinlich schläft Hans hier

Ich will nun annehmen (27) (a) sei ein Urteil wie (30), (27) (b) hingegen sei kein Urteil. In (a) ist die es ist wahrscheinlich entsprechende semantische Struktur Teil der propositionalen Bedeutung von (27) (a), sie gehört zu der komplexen Proposition, die auf die aktuale Welt wo bezogen wird. Gleichviel, ob es ist wahrscheinlich als objektive oder subjektive Wahrscheinlichkeit verstanden wird, als Naturgegebenheit oder als Einstellung von Personen — das Denotat von es ist wahrscheinlich gehört zur aktualen Welt wo, zur Welt über die gesprochen wird.

Die dem wahrscheinlich in (27) (b) entsprechende semantische Struktur hingegen ist nicht Teil der propositionalen Bedeutung von (27) (b). Die mit wahrscheinlich bezeichnete Einstellung gehört nicht zur aktualen Welt wo, über die gesprochen wird, sondern dies ist eine Einstellung, mit der in einem Äußerungsvorkommen von (27) (b) über wo gesprochen wird. Und folglich gehört die mit wahrscheinlich in (27) (b) bezeichnete Einstellung nicht zum Denotatbereich eines Äußerungsvorkommens von (27) (b). Daß die durch ein Sadv bezeichnete Einstellung nicht zum Denotatbereich der propositionalen Bedeutung eines Satzes gehört, kann man auch an den Interpretationsbedingungen für Sadv in Kausalsatzstrukturen sehen. Vgl. 

(31)

(a) Peter trinkt noch einen Schnaps, weil es bedauerlich ist, daß er süchtig ist

 

(b) Peter trinkt noch einen Schnaps, weil er leider/bedauerlicherweise süchtig ist

(31) (a) kann nur so interpretiert werden, daß die Bedauerlichkeit einer vorhandenen Sucht der in wo existierende Umstand ist, der Peter zum Trinken veranlaßt — hier will er mit Schnaps seine Trauer ertränken,

(31) (b) hingegen kann nur so interpretiert werden, daß die Peter in wo zugeschriebene Sucht ihn zum Trinken veranlaßt — hier will er mit Schnaps seine Sucht befriedigen. Die durch leider/bedauerlicherweise ausgedrückte Einstellung hat mit den Kausalzusammenhängen nichts zu tun. Von gleichen Wahrheitsbedingungen für (31) (a) und (b) kann auch bei laxer Auffassung nicht die Rede sein.

Bisher haben wir argumentiert, daß die Bedeutung des Sadv wahrscheinlich nicht zur propositionalen Bedeutung von (27) (b) gehört, aber gewiß gehört sie zur Bedeutung von (27) (a). Folglich muß es da außer der propositionalen Bedeutung noch eine semantische Komponente geben, die dem Sadv in Relation zu der Proposition „Hans schläft hier“ Rechnung trägt. Und mein diesbezüglicher Vorschlag lautet, das Sadv semantisch als Operator aufzufassen, der die Proposition „Hans schläft hier“ in eine einstellungsbewertete Äußerung überführt. Wie geht das vor sich? Eine Proposition p als Element der Bedeutung eines Satzes s identifiziert einen Sachverhalt in einer möglichen Welt w. Das Äußern von Sätzen involviert notwendig eine Einstellung zu dem, worüber mit dem geäußerten Satz gesprochen wird. Bei einem Äußerungsvorkommen von s wird bezüglich p die Welt w als die durch den Kontext determinierte aktuale Welt wo identifiziert. Dabei wird die grundlegende Erfüllungsbeziehung „w erfüllt p“ einstellungsabhängig spezialisiert zu „wo erfüllt p“. Diese Spezialisierung der Erfüllungsbeziehung kann man nun auffassen als Festlegung einer Alternativitätsrelation zwischen möglichen Welten und eine durch wahrscheinlich, leider, vermutlich etc. ausgedrückte Einstellung spielt dabei die Rolle des Spezi[211]fikators dieser Alternativitätsrelation. Technisch wäre das provisorisch so zu formulieren:

(32)

Sadv haben semantisch den Status von Einstellungsoperatoren, die darstellbar sind als spezielle Funktionen von p-Erfüllungen in möglichen Welten in p-Erfüllungen in aktualen Welten.

Die formale Ausführung der in (32) skizzierten Bestimmung ist eine höchst komplizierte Aufgabe für sich. Ich will hier nur noch eine Andeutung machen, wie der Begriff „einstellungsbewertete Äußerung“ expliziert werden könnte. Man könnte sagen, die beim Äußern eines Satzes s involvierte Einstellung bezüglich der durch s ausgedrückten Proposition p liefert einen Wert für die Erfüllung von p in der aktualen Welt. So etwa wäre „als wahr anerkennen“ der Wert, mit dem die p-Erfüllung in wo durch Anwendung der Urteilsfunktion auf die p-Erfüllung in w belegt wird. Analoges wäre zu formulieren für „wahrscheinlich“, „vermutlich“ und — mit zusätzlichen Komplikationen — für „leider“, „überraschenderweise“ etc., denn die für die Sadv der Gruppe B postulierte „faktive Präsupposition“ muß sich natürlich in diesem Rahmen rekonstruieren lassen, möglicherweise als Urteilskomponente innerhalb einer komplexen Bewertung.

3.3. Psychologischer Hintergrund. Ich möchte nun noch den Versuch machen, die semantischen Überlegungen der beiden vorangegangenen Abschnitte im Hinblick auf eine weitere Beschreibungsebene zu interpretieren. Dabei soll auch geklärt werden, was es mit dem Denotat von Einstellungsausdrücken wie wahrscheinlich, leider etc. in Äußerungsvorkommen von Sätzen wie (27) (b) usw. auf sich hat.

In Termen der kognitiven Psychologie könnte man grob folgendes formulieren: Die in der Semantik als Hilfsbegriff figurierenden „möglichen Welten“ könnte man, wie M. Bierwisch[13] angedeutet hat, psychologisch auffassen als interne mentale Zustände mit einer bestimmten Strukturierung. Nehmen wir an, die menschliche Psyche (im Sinne von engl. mind) sei charakterisierbar als eine Gesamtheit solcher Zustände, die sich aufgliedert in verschiedene Bereiche, die etwa mit Kenntnissystem, Überzeugungssystem, Emotionalsystem grob und keineswegs disjunkt sortiert werden können. Eine etwas feinere Einstellung ergibt sich, wenn man annimmt, daß sich etwa der durch Kenntnissystem umschriebene Bereich aufgliedern läßt in Teilbereiche, etwa in solche, die jeweils durch Erfahrung und Kenntnis oder durch Wahrnehmung und Anschauung oder durch Überzeugung und Haltung fundiert sind — um nur ganz willkürlich einige solcher Grunddimensionen zu nennen, die die Menge W aller möglichen Welten in Teilmengen zerlegen. Jede mögliche Welt w ist somit Element einer Teilmenge aus W.

Das „Fassen eines Gedankens“ p, verstanden als Identifizierung eines Sachverhalts in einer möglichen Welt w, wäre auf diesem Hintergrund zu verstehen als die Identifizierung einer kognitiven Struktur in einen bestimmten (erfahrungs-, wahrnehmungs-, überzeugungs- etc. fundierten) Teilbereich des Kenntnissystems. Sagen wir dafür kurz: p identifiziert eine w-fundierte kognitive Struktur. Wird nun der gefaßte Gedanke sprachlich geäußert, so wird p auf die durch den Äußerungskontext determinierte aktuale Welt wo bezogen, die natürlich auch mental repräsentiert ist. Die in 3.2. besprochene Konfiguration von Denotaten für „Hans“, „hier“, „schläft“ in wo identifiziert (zusammen mit anderen Kontext- bzw. Situationsparametern) ebenfalls eine bestimmte kognitive Struktur in einem Teilbereich des Kenntnissystems. Es scheint mir plausibel, die wo-fundierte kognitive Struktur als wahrnehmungsfundiert zu betrachten. Propositionale Einstellungen in der in (32) [212]formulierten Auffassung wären somit rekonstruierbar als „bewertete“ Beziehungen zwischen w-fundierten und wo-fundierten kognitiven Strukturen. Die mit der Urteilseinstellung getroffene Bewertung „als wahr anerkennen“ wäre rekonstruierbar als Deckungsgleichheit von w-fundierter = kenntnisfundierter und wo-fundierter = wahrnehmungsfundierter Struktur. Die mit wahrscheinlich ausgedruckte Einstellung entspräche dann der Verträglichkeitsbeziehung zwischen der wahrnehmungsfundierten und der kenntnisfundierten kognitiven Struktur.

3.4. Damit bin ich am vorläufigen Endpunkt der Strecke angelangt, die man m. E. zurücklegen muß, wenn man Sadv als Ausdrucksmittel von Sprechereinstellungen beschreiben und in ihrer Funktionsweise erklären will. Ich habe mit der Syntax begonnen und mit den kognitiven Strukturen aufgehört. Zum Abschluß will ich noch einmal den Blick zurück richten, um anzudeuten, wie man beim Absteigen in der Hierarchie der Interpretationsebenen erklärende Hypothesen gewinnen kann.

(1) Wenn sich die in 3.3. angestellten Spekulationen über die kognitive Natur von Einstellungen als Resultat des Vergleichs von w-fundierten und wo-fundierten Strukturen präzisieren und erhärten lassen, so wäre dies ein Argument, daß die semantische Interpretation eines Sadv wie wahrscheinlich in einem Äußerungsvorkommen von Hans schläft wahrscheinlich hier tatsächlich nicht auf derselben Stufe erfolgen kann wie die der Proposition „Hans schläft hier“.

(2) Dieser Stufenunterschied könnte so gefaßt werden: mit der durch den Satz s ausgedrückten Proposition p bezieht sich der Sprecher eines Äußerungsvorkommens von s auf die aktuale Welt, mit der durch ein Sadv ausgedrückten propositionalen Einstellung bezieht sich der Sprecher auf seine eigene Kognition. In diesem Fall wird durch p etwas denotiert, über das gesprochen wird, mit dem Sadv hingegen wird etwas ausgedrückt. Einstellungen ausdrücken ist nicht dasselbe, wie über Einstellungen sprechen.[14] Das Denotat — wenn man so will — des Sadv sind die vom Sprecher vollzogenen, einstellungskonstituierenden kognitiven Operationen. Mit einem einfachen Konzept von Wahrheitsbedingungen ist da nicht viel anzufangen. Die Auffassung von Sadv als Einstellungsoperatoren wie in (32) und das vorgeschlagene Konzept der Erfüllungsbedingungen sind ein vorsichtiger Schritt, den Stufenunterschied zu erfassen.

(3) Aus dem so erläuterten Konzept von Einstellungsoperatoren, die Propositionen in einstellungsbewertete Äußerungen überführen, würde sich auch erklären, warum Sadv — wie in 2.9. gezeigt — nicht negierbar, quantifizierbar, koordinierbar etc. sind, d. h. weshalb sie nicht im Skopus solcher Operatoren stehen können. Negation, Quantifikation, Konjunktion etc. sind propositionale Operatoren, die aus Propositionen komplexere Propositionen machen. Sie operieren auf einundderselben semantischen Stufe, nämlich der propositionalen. Diese Operatoren bestimmen die Struktur dessen, worüber gesprochen wird. Ein Sadv im Skopus eines solchen Operators wird damit bezüglich seiner Interpretation ebenfalls auf die propositionale Stufe gebracht, würde somit nicht mehr eine Einstellung ausdrücken, sondern über eine Einstellung sprechen.

(4) Auch die andere Gruppe von Einschränkungen aus 2.9., daß Sadv weder selbst erfragt, befohlen, gewünscht werden können, noch auf Fragesätze, Imperative, Wunschsätze etc. angewandt werden können, kurzum, daß Sadv und Frage-, [213]Imperativ- und Wunschoperatoren keine gemeinsame Operationsdomäne haben können, findet hier eine Erklärung: Mit dem Äußerungsvorkommen eines Satzes ist eben genau ein Typ von Einstellung verbunden, d. h. eine bestimmte Art, die Erfüllungsbedingungen der durch den Satz ausgedrückten Proposition zu spezialisieren. Typverschiedene Einstellungsoperatoren schließen sich damit aus. (Ich gestehe gerne, daß trotz der Typgleichheit mehrfach vorkommende Sadv hier noch Probleme aufgeben.)

(5) Aus dem hier vorgeschlagenen Status, demzufolge Sadv eine Einstellung ausdrücken, aber nicht über sie sprechen, lassen sich auch einige Eigenschaften ihres Verhaltens im Sinne der pragmatisch zu beschreibenden Verwendungsbedingungen ableiten: Ihrem kommunikativen Status nach sind die Sadv Kommentare, nicht Behauptungen. Das erklärt, weshalb sie in Dialogen nicht in Frage gestellt, korrigiert, zurückgewiesen, kurzum, weshalb sie in der Textfortsetzung nicht wiederaufnehmbar sind.[15]

 

R É S U M É

Ke statusu větných adverbií

Tato stať se pokouší určit status větných adverbií (jakožto výrazového prostředku postojů mluvčího) na různých rovinách popisu jazyka a zjištěné charakteristiky navzájem spojit ve výkladovou souvislost. Vycházeje z obecné formule, že postoje mluvčího modifikují sdělení, autor charakterizuje toto modifikování ve všech příslušných aspektech syntaktických, sémantických a pragmatických. Větná adverbia mají status postojových operátorů převádějících propozici (vyjádřenou větou) na ohodnocenou výpověď; přitom se zdůrazňuje, že postoje vyjádřit je něco jiného než o postojích mluvit (v prvním případě postoj není složkou propozice, v druhém ano). Připojeny jsou též úvahy o kognitivní povaze postojů. Autor naznačuje rovněž vztah mezi modifikováním výpovědní struktury pomocí větných adverbií a jevy aktuálního členění a uvádí řadu faktů, které lze vysvětlit právě pomocí syntakticky a sémanticky interpretovatelného statusu větných adverbií jakožto operátorů.


[1] Vgl. die Vorträge von M. Grepl, E. Buráňová, SaS 40, 1979, 81ff.

[2] Ich denke da an die grundlegenden Arbeiten etwa von S. Greenbaum, Studies in English Adverbial Usage, London 1969; S. Jacobson, On the Use, Meaning, and Syntax of English Preverbal Adverbs, Stockholm 1978; R. Bartsch, Adverbialsemantik, Frankfurt/Main 1972; P. Schreiber, Some Constraints on the Formation of English Sentence Adverbs, Linguistic Inquiry II/1,83-101.

[3] Auf diese idiosynkratische Eigenschaft der Sadv in C hat mich F. Daneš in der Diskussion aufmerksam gemacht. Ich führe im folgenden die Gruppe C der Vollständigkeit halber mit an, habe aber für ihre Besonderheiten noch keine Erklärung anzubieten.

[4] Was natürlich nicht heißen soll, daß Konstituentenstrukturgrammatiken nichts dazu zu bieten hätten. Auf die Sadv-Behandlung in der Jackendoffschen Version der generativen Transformationsgrammatik ist I. Zimmermann hier ausführlich eingegangen. Wichtige Distributionseigenschaften und darauf begründete Kategorisierungen der Sadv im Rahmen einer kontextfreien Konstituentensyntax finden sich bei D. Clément - W. Thümmel, Grundzüge einer Syntax der deutschen Standardsprache, Frankfurt/Main 1975.

[5] Der Begriff „Bezugskonstituente“ wird besonders ausführlich von H. Altmann Grandpartikelprobleme, Tübingen 1978, anhand der deutschen Grandpartikel dargestellt, die in vielen Hinsichten den Sadv ähnlich sind.

[6] Siehe Anm. 2.

[7] Vgl. dazu E. Lang - R. Steinitz, Können Satzadverbiale performativ gebraucht werden? Studia Grammatica 17, 1977, 51—80.

[8] Die sich dabei einstellenden Schwierigkeiten werden ausführlich diskutiert in E. Lang, Paraphraseprobleme I. Über die Funktionen von Paraphrasen beim Ausführen semantischer Analysen, LS/ZISW, Reihe A, Heft 18, 97—156.

[9] A. Kroch, The Semantics of Scope in English, Bloomington 1976.

[10] Als die Präferenz bedingender Faktor mag — wie auch bei den Quantoren — gelten, daß Strukturen, in denen das Skopusverhältnis auch syntaktisch, von links nach rechts, „reflektiert“ wird, möglicherweise perzeptiv bezüglich der Skopuszuordnung transparenter sind als Sätze, in denen die Oberflächenabfolge der Sadv umgekehrt ist wie in (15, 16) (b). Sind die Operatoren aber verschiedenen Typs, vgl. etwa (24) unten, dann gelten andere Präferenzfaktoren.

[11] I. Bellert, On Semantic and Distributional Properties of Sentential Adverbs, Linguistic Inquiry VIII/2, 1977, 337—351.

[12] M. Bierwisch, Semantic Structure and Illocutionary Force, Searle - Kiefer - Bierwisch (eds.): Speech Act Theory and Pragmatics, Dordrecht 1978.

[13] M. Bierwisch, Utterance Meaning and Mental States, Ms. 1979.

[14] R. Pasch (in SaS 40, 1979, 118—123) hat beobachtet, daß eine Äußerung von z. B. Hans schläft vermutlich hier in einem Report über diese Äußerung exakt nur wiedergegeben kann durch X hat die Vermutung ausgedrückt, daß, oder X hat die Vermutung geäußert etc., aber nicht durch X erklärt/behauptet/sagt, daß er vermutete, daß ….

[15] Sadv haben hierin viele Gemeinsamkeiten mit anderen Kommentarformen. So etwa ist hoffentlich nicht zu vergleichen mit ich hoffe, daß …, sondern eher mit dem ich hoffe, … (ohne daß-Anschluß) oder Parenthesen und Einschüben und Nachträgen wie: … wie ich hoffe …, … so hoffe ich …, … was ich hoffe. Solche Ausdrücke teilen mit den Sadv die Nicht-Negierbarkeit, Nicht-Erfragbarkeit etc. Sie stehen auch nie im Fokus einer Äußerung.

Slovo a slovesnost, volume 40 (1979), number 3, pp. 200-213

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